15.09.2001 * (nmn)
"Millionär in 98 Minuten", der Kurs des Anlageberaters Frank Weber - großes W, kleiner Eber - richtet sich an alle, die ihr Geld vermehren oder eine Frau verführen wollen. Mit einer skurrilen Börsen- und Beziehungskunde eröffnete Thomas Freitag am Freitag (14. September) den 3. Marburger Kabarettherbst im Kulturladen KFZ.ƒ
Die Beziehungen des Deutschen zu seinem Geld und des Bankangestellten Weber zu seiner Kollegin Fräulein Lenz sind nicht die einzigen, die während der Anlageberatung erörtert werden. Zunächst einmal muß auch ein "Beziehungsnetz" zwischen den Kursteilnehmern gesponnen werden - ein Knäul Wolle ist dazu wie geschaffen. Die Devise lautet: Steuern sparen durch Heiraten. Und so können die mittels "Wolle-Werfen" geknüpften Bekanntschaften auf dem Weg zur Million sehr nützlich sein.ƒ
"Im Mittelalter diente die Heirat dazu, seinen Besitz zu erhöhen ... Dann wurde im 19. Jahrhundert die sogenannte Liebesheirat erfunden. Und heute sind wir wieder beim Mittelalter angelangt.", so die erklärenden Worte Webers alias Thomas Freitag. Aber bei ihm ist das anders: er liebt (!) das Fräulein Lenz. Leider weiß sie nichts davon. Wie es ihr sagen, wie sie für sich gewinnen? Diese Fragen werden zu einem schier unlösbaren Problem für den schüchternen, verklemmten, an seiner Normalität leidenden Frank Weber. In seiner Jugend hatte er geglaubt, man müsse Frauen nur anspucken, um sie sich zu sichern - so, wie die Schnitzel im katholischen Jungeninternat.ƒ
Nur durch Außergewöhnliches, Besonderes könne man Frauen erobern, erklärt ihm ein befreundeter Kollege. Weber hört auf ihn - im Werben um seine Angebetete überschreitet er auf chaotische, an Kraft und Gewissen zehrende Weise seine persönlichen Grenzen, was ihn schließlich in die Arme eines Beichtvaters treibt. Er erinnert sich: Beichten war für uns früher das, was heute S-Bahn-Surfen ist: der ultimative Adrenalinkick.ƒ
Der Priester beklagt die "Modernisierungen" der Kirche in der heutigen Zeit: Alle Grundprinzipien einfach so wegzuschmeißen, könne sich eine so große Institution wie die Kirche - im Gegensatz zur SPD - einfach nicht erlauben. Nehmen wir das Beispiel Ehe. Priester sollen heute heiraten. Wenn sie Eheschließungen vollziehen, müßten sie schließlich wissen, was sie tun. Ja mein Gott, müssen denn Bestatter tot sein?ƒ
Thomas Freitag nimmt Volk, Wirtschaft, Politik und Kirche mit enormer schauspielerischer Überzeugungskraft auf die Schippe. Viele verschiedene Figuren agieren an vielen verschiedenen Orten. So finden sich die Kursteilnehmer nicht nur in Hotel und Bank, Kino und Kirche, sondern zum Beispiel auch im "Eisland, wo man mit dem Tod reden kann" oder beim Grillabend im Garten eines befreundeten Ehepaars wieder. Wer wissen möchte, was typisch deutsche Freundschaften sind, oder genaueres über die beiden deutschen Anlagetypen - Sparbuch und Bier - erfahren möchte, ist bei Thomas Freitag "gold"-richtig.
11.09.2001 * (nmn)
"Wenn Guiliano Chelazzi in Aquarellen, Federzeichnungen und Pastellen die strahlend helle Landschaft seiner toskanischen Heimat schildert, duftet es geradezu nach Jasmin und Myrthe." Dies ist zu lesen im kleinen Katalog der Ausstellung "Atem und Rhythmen einer Landschaft - Aquarelle und Zeichnungen von Guiliano Chelazzi", die am Montag (10.September) im Marburger Rathaus eröffnet wurde. Aber nicht nur die Schönheit geheimnisvoller Landschaften, Häuser und Ruinen in der Toskana, sondern auch die verträumt-verwinkelten Ecken der Marburger Altstadt gibt es auf der Ausstellung zu sehen.
"Die vergangenen Zeiten atmen nicht nur aus den Gassen selbst, sondern auch aus den Bildern.", meinte Oberbürgermeister
Dietrich Möller
bei der Ausstellungseröffnung.
Seit seiner Kindheit interessiert sich der aus einer Künstlerfamilie stammende Guiliano für das Malen und Zeichnen. Leidenschaft und Licht des Südens sind in seinen Bildern durch eine besondere Farbpoesie widergespiegelt. Romantisch, nicht realistisch, muten die Bilder in ihrer sanften Farbigkeit an. Sie strahlen eine Ruhe aus, wie sie in unserer modernen Zeit an nicht mehr vielen Orten zu finden ist.
Guiliano Chalazzi studierte Architektur. In seiner Dissertation setzte er sich für die Wiederbelebung historischer Zentren in Florenz ein. Von großer Wichtigkeit für ihn sei ein Weiterleben der Altstädte in der Gegenwart. Unter anderem deshalb interessiere er sich wohl auch so sehr für die schöne Marburger Oberstadt mit ihren schmalen Gässchen und alten Fachwerkhäuser n, mutmaßt Dr. Rosemarie Brandt. Aber auch typische Marburger Brücken und Kirchen ziehen den Maler in ihren Bann.
Vor zwanzig Jahren führte eine Studienreise Chelazzi erstmals in die hessische Universitätsstadt. Daß er von ihr beeindruckt war, sieht man seinen Bildern auf den ersten Blick an. Liebevoll ausgewählte Motive in Wettergasse und Reitgasse, Kugel-, Stein- und Hahnengasse können die Marburger bis zum 23. September nicht nur in natura - aber dennoch in der Oberstadt - bewundern. Die Ausstellung ist montags bis mittwochs von 8 bis 16, donnerstags von 8 bis 18, freitags von 8 bis 13 und samstags von 11 bis 17 Uhr geöffnet.
Bei der Eröffnung versprach der Küstler: "Dies sind nicht meine letzten Bilder von Marburg. Es wird weitere geben. Ich war nur zweieinhalb Jahre hier. Die Stadt ist nur in einem kleinen Teil meines Herzens - aber der schlägt soo groß!" Und er zeigt mit den Händen, wie groß der Teil seines Herzens ist, der für die schöne hessische Provinz schlägt.
09.09.2001 * (sfb)
Ein alter Freund ist tot, und Friedrich G. Paff hat einen neuen Namen.
Andreas Thorn
nennt sich nun der Marburger Schriftsteller, der am Sonntagvormittag (9. September) aus seinem neuen Buch "Das Haus der Romantik "las. Musikalisch haben ihn "how high the moon" und die Sängerin Hella Blech unterstützt. Ausrichter der rituellen Lesung im Cafe Vetter war die "Neue literarische Gesellschaft" unter Vorsitz von Ludwig Legge.
Nach einer langen Pause, so Legge, war es wieder soweit. Endlich stellte ein hiesiger Literat sein neues Werk der gespannten Öffentlichkeit vor. Andreas Thorn hat sich dereinst mit dem Roman "Die Hexe von Bacharach" einen Namen gemacht, den er nun wieder ablegt.
Das neu erschienene Buch von Thorn ist noch keine acht Tage alt und schon im Buchhandel erhältlich. Nach einer knackigen Jazzeinlage erfuhren die ersten Zeugen des druckfrischen Erzeugnisses einiges über den von Thorn hochgeschätzten Romantiker Clemens von Brentano. Mit ihm begab sich der gebürtige Rheinländer aus dem Städtchen Bacharach auf einen lyrischen Streifzug durch bekannte Winkel der Marburger Oberstadt. Kritische Anklänge waren unüberhörbar. "Das Haus der Romantik ist kaputt und niemand kann reparieren", lautete die Klage. So ist auch "Ein gescheitertes Leben als Eintrittskarte in dieses Haus" - heute kaum mehr vorstellbar in einer Big-Brother-Zeit, in der die "Blaue Blume geklont ist". "Die Welt hat sie vergessen, Marburg bessessen - die Romantiker."
Kritisches wechselte mit sprachphilosophen Ansichten zum Schreiben in seinem Prosatext über "Das Schnalzen". Schreiben gelänge am besten, wenn man ohne zu überlegen, den "vielleicht unterirdischen" Schreibfluß durch "alle Sperren" hervorbrechen lasse. Die Leere, ein oft genanntes Wort in der Lesung, ist der Ort, aus dem sich etwas gestalte.
Lehrreich waren auch die teilweise zu lang geratenen Ausführungen in dem Prosastück "Die Therapeutin". Eindrucksvoll beschreibt Thorn darin langjährige Erfahrungen mit seiner Therapeutin, die er vermißt, ohne zu wissen, wen oder was er denn nun vermißt. Nach all den Jahren sei sie ihm fremd geblieben, eine Wand, wie er es ausdrückt.
Ein richtiger Knaller war der Schlußteil, in dem der Marburger dann wieder mit kunstvoll verdichteter Lyrik brillierte. Vor allem seine Liebeslyrik beeindruckte. Sprachlich interessante Wendungen über einen Tunnel ließen dem Publikum ein Licht aufgehen: "Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels", sagte der Anfang "Es gibt ein Licht am Anfang des Tunnels, sagt das Ende. Die Dunkelheit in der Mitte hat noch eine andere Wahrnehmung.
"Wir werden gesprochen und spucken aus die Fahrpläne des Nichts.", lautete ein weiterer Satz, den er seinen Zuhörern zum Nachdenken auf dem Nachhauseweg mitgab.
"Es gibt keine Toten", schloß Thorn dann seinen Vortrag - wohl in memoriam an einen kürzlich verstorbenen Freund.
06.09.2001 * (nmn)
"In meinem Herzen sprach eine Stimme so laut" hieß das Motto, unter dem Bernd Aretz und Dr. Dagobert Müller-Brodmann am Mittwoch (05. September) im
Theater neben dem Turm
(TNT) Briefe aus der Zeit der Jahrhundertwende lasen. "Er hatte ein paar Briefe, die er vorlesen wollte, und ich auch", beschreibt Aretz die Auswahlkriterien für die präsentierten Schriftstücke.
Der Abend begann psychologisch. Aretz "spielte " den Freud`schen Schüler Karl Gustav Jung, der seinem Lehrer neurotisches Verhalten vorwirft. Ständig behandele er seine Schüler wie Patienten, jeden müsse er analysieren und jedem eine Neurose bescheinigen. Wäre es da nicht wahrscheinlicher, dass er selbst unter einer solchen litte? Freud, gelesen von Müller-Brodmann, antwortet ihm: Denen, die rufen, sie seien gesund, fehlt lediglich die Krankheitseinsicht.
Vorwurfsvoll ging es weiter, als sich Maria Theresia von Österreich bei ihrer 15-jährigen Tochter Marie Antoinette über deren Äußeres beklagte. Sie vernachlässige sich, sei "auseinandergegangen", schlecht gekleidet und würde auch ihre Zähne nicht ausreichend pflegen. Sie, die Mutter, wolle sich nun zunächst einmal um ein passendes Korsett für das Mädchen kümmern. Die Kaiserin ermahnt ihre Tochter zu einem fröhlicheren Wesen, denn: Man kann tugendhaft und doch zugleich lustig und gesellig sein.
Sein Wesen ändern muß auch August Herder, ein Sohn des großen Philosophen und Theologen Johann Gottfried. Es sei nämlich "entsetzlich schlaff", so der Vater 1889 in einem Brief an seinen Sohn. "Rost und Trägheit" solle er sich schleunigst mit dem schärfsten Messer abschneiden und endlich sein Studium beenden. "Es ist mir ein Schimpf, Söhne in die Welt gesetzt zu haben, die träumen." Und er legt dem Brief einen Zettel bei, auf dem aufgelistet steht, was der Sohn gekostet hat. Den möge August täglich lesen.
An politische Skandale der jüngsten Vergangenheit fühlt man sich durch die Worte Fréederic Voltaires erinnert, der im 12. seiner 24 Briefe über den bestechlichen englischen Politiker Sir Francis Bacon schreibt: "Er war ein so großer Mann, dass ich seine Fehler vergessen habe."
In die "Herzensangelegenheiten" der unterschiedlichen Menschen - auch der ganz Großen - konnte sich der Besucher nicht zuletzt wegen der kurzen Zusammenfassungen der verschiedenen Hintergründe so gut hineinversetzen. Friedrich von Schiller und Johann Wolfgang von Goethe wie auch ihr Verehrer Alexander von Humboldt haben nicht gefehlt. Die stimmlichen und mimischen Leistungen der beiden Leser waren dafür verantwortlich, dass sich der Zuhörer den klassischen Größen verbunden gefühlt und sie verstanden hat.
Ihren Ärger, ihre Freude, ihre Rührung, ihren Liebeskummer, ihre Leidenschaft konnte man aufgrund der hervorragenden schauspielerischen Leistung und der Stimmodulationen der Sprecher eineinhalb Stunden lang erleben. Nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch kam das Ohr des Besuchers voll auf seine Kosten. Stimmgewaltig sang Eva Brehmer zu beeindruckenden Gitarrenklängen von Reinhard Müller-Brodmann.
Wer sich einen ähnlichen Kunstgenuß nicht entgehen lassen möchte, kann am 19. und 26. September weiteren Lesungen im "Theater neben dem Turm" lauschen. Die Reihe "Schön am Mittwoch" setzt Bernd Aretz am 19. September mit den "Rosenliedern des Fürsten zu Eulenburg" fort . Am 26. September schließlich liest Beverly Boyer Texte von Hildegard Knef, wobei sie musikalische Unterstützung von Klaus Stehling am Klavier erhält.
06.09.2001 * (sap)
Auf hellen Stühlen mit einem Korbgeflecht sitzen nach einem Beschluss des Kirchenvorstands künftig die Besucher der Marburger
Elisabethkirche.
Die eigens für die älteste gothische Hallenkirche Deutschlands entworfenen Stühle ersetzen dunkle Kirchenbänke aus dem Jahr 1931. Neben dem Raumeindruck verändern die Stühle auch den Sitzkomfort, die alten Bänke seien für die Menschen von heute zu niedrig und zu schmal, meint Pfarrer Dietrich. Nachdem die Stühle probeweise eingeführt und Gemeindemitglieder sowie Besucher zum Raumeindruck befragt wurden, ergibt sich vor allem bei den Gemeindemitgliedern eine positive Bewertung der neuen Sitzgelegenheiten. Zu fast 60 Prozent beurteilen sie den Raumeindruck mit "sehr gut", 22 Prozent finden ihn "gut". Nur 14 Prozent der befragten Gemeindeglieder fanden die neuen Lösung schlecht. Nicht so hoch fiel die Zustimmung bei den anderen Besuchern aus: 27 Prozent der Marburger und sogar 30 Prozent der auswärtigen Besuchern kreuzten schlecht an.
Positiv bewerten die Besucher, dass der Raum insgesamt durch die Stühle heller wirke und so in seiner Größe besser zu erleben sei.
"Gemeindeglieder, die die alte Situation kannten und mit den Bänken leben mussten, empfinden die Stühle als Erleichterung", so Dietrich. Im Gegensatz zu den Kirchenbänken verdecken die Stühle nicht den - 1996 bei Renovierungsarbeiten zutage geförderten - gothischen Fußboden.
05.09.2001 * (nmn)
Abwechslungsreich gestaltet sich die am Dienstag (4. September) eröffnete Kunst-Ausstellung im Marburger Landratsamt. Elf professionell arbeitende Künstlerinnen und Künstler aus dem Landkreis präsentieren anläßlich der "Kunsttage
Marburg-Biedenkopf" Zeichnungen und Gemälde, Glaskunst und Fotographien.
"Die Ausstellung soll" - so Landrat
Robert Fischbach
in seiner Eröffnungsrede - "dazu beitragen, den Menschen ihre Angst vor Kunst und Künstlern zu nehmen, und Appetit auf mehr machen."
Eine "professionelle Einführung" bot die Ginseldorfer Künstlerin Hannelore Heider. Sie wünscht sich wieder mehr Interesse an und mehr Verständnis für die Kunst bei der Bevölkerung. Die Verantwortlichen des Kreises bat sie um mehr Unterstützung, was Arbeits- und Ausstellungsbedingungen angeht .
Ihre Werke - zum Beispiel "Glücksengel" oder "Sonnengott" - bestechen durch leuchtend-farbige Komplementärkontraste, ausgewogene Komposition und aufwendige Materialbearbeitung.
Vielseitig geht es auch bei Johanna Krämer zu. Sie macht nicht nur auf sozial-politische Probleme, sondern auch auf Erfolge aufmerksam. So gibt es neben besinnlichen schwarz-weiß-Zeichnungen, die verzweifelte Menschen am Rande der Gesellschaft zeigen, auch Helmut Kohl in heiter-aufgeregtem Bunt neben einer Schrifttafel, auf der seine Leistungen aufgelistet sind. Die Künstlerin setzt glückliche Momente im Zwischenmenschlichen humorvoll um, wenn nicht Menschen, sondern gurkenähnliche Figuren fröhlich den "Valentinstag" feiern.
An Friedensreich Hundertwasser erinnert "Das globale Dorf" der Künstlerin Ulrike Krappen, die auch "bemalte Kartoffelsäcke" im Kreishaus ausstellt.
Außergewöhnliches gibt es auch bei Bert-Hubl zu bestaunen. Seine Gemälde sind nicht auf eine Ansicht festgelegt, oben und unten lösen sich auf. Stattdessen sollen die Bilder gedreht und aus vier verschiedenen Positionen betrachtet werden. So kann man im "Weisen" zwar jedesmal einen weisen Alten erkennen, doch ist er nicht immer derselbe. Mal ist er groß, mal klein, mal rechts, mal links, mal von Dämonen, mal von schönen Frauen umgeben.
Auch beim Glaser- und Glasmalermeister Ingolf Anschütz, der sein Material nach einem antiken Verfahren bearbeitet, kommt die Lust am Phantasieren auf ihre Kosten. Seine Plastiken bestehen neben Glas auch aus Holz und Metall. Kunstvoll ausgestaltet leuchten sie dem Betrachter entgegen.
Norman Quednow von der Musikschule Dacapo in Biedenkopf umrahmte die eindrucksvolle Ausstellungseröffnung mit sanften Gitarrenklängen. Eine begeisterte Besucherin bewertete die Ausstellung mit den Worten: "Es ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei!"
Im Rahmen der Kunsttage findet neben dieser Präsentation eine weitere Gemeinschaftsausstellung von 25 Künstlern im Ratsaal in Niederweimar statt . Beide können noch bis zum 22. September besucht werden.
04.09.2001 * (sfb)
"Gern hab ich die Fraun geküßt", lautet der Titel eines Buches, das aus der Feder des Stern-Journalisten Michael Jürgs stammt. Zitate aus dieser im Jahr 2000 erschienenen Richard Tauber-Biographie las Dr. Rosemarie Dilg-Frank, Leiterin des Lesekreises für jüdische Literatur, am Dienstagabend (3. September). Ausrichter dieser Lesung im Philippshaus war die
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
(CJZ) Marburg.
In der Tat: Gern hat er sie geküßt - die Frauen. Nicht nur die reihum gehenden Fotos bewiesen dies, auf denen der frackgewandete Tenor in Gesellschaft hübscher Damen weilte. Zweimal, so war zu hören, war er verheiratet und pflegte zahlreiche Liebschaften mit namhaften Künstlerinnen.
Richard Tauber hatte aber vor allem eine Schwäche für die Sangeskunst. Eine Kostprobe seines Könnens drang aus dem Casettenrecorder: "Gern hab ich die Fraun geküßt", hieß ein Lied, das nicht nur Damen älteren Semesters unter die Haut ging. Diese historische Aufnahme aus den 20er Jahren hatte eine bewegende Geschichte. Das von Taubers Busenfreund Franz Lehar komponierte Lied erlebte bei seiner Uraufführung in Wien eine wahre Bruchlandung. "Die hol ich mir, die Berliner" war Taubers Antwort auf diese Niederlage. Dank seiner unerschütterlichen Kraft und Energie führte er das Lied zu einem ungeahnten Durchbruch. Mit minutenlangen "Da capo"- Rufen unterbrach das Berliner Publikum seinen Vortrag. Er mußte den Schlager dann fünf Mal wiederholen, bis die Aufführung weitergehen konnte.
Der 1891 im österreichischen Linz geborene Sohn eines jüdischen Theaterintendanten war neben seiner lebensbejahenden Einstellung aber auch ein ruheloser Geist. Weltweit war der "deutsche Caruso" auf allen Bühnen zu bewundern. Nicht nur seine Rastlosigkeit, sondern vor allem ein diskriminierendes Pamphlet in der Zeitschrift "Der deutsche Kulturwart" veranlaßte den bereits in jungen Jahren berühmten Tenor, Berlin zu verlassen und nach Wien überzusiedeln. Später ging er nach London ins Exil, wo er 1948 völlig verarmt an Krebs starb.
Wie aus den Ausführungen von Dilg-Frank hervorging, war der weltberühmte Tenor der 20er Jahre kein elitärer Fatzke. Dem sozial engagierten Künstler war sehr daran gelegen, auch das gemeine Volk zu begeistern.
Mit Hessen verband ihn sein Studium am Hochschulkonservatorium in Wiesbaden, wo er Klavier, Kompostion und Dirigieren studiert hatte.
Andere Biographien von Michael Jürgs über Axel Springer oder Romy Schneider wurden mittlerweile verfilmt. Und so hofft Rosemarie Dilg-Frank auf einen Film über Richard Tauber. Doch bis dahin muß man sich mit dem Buch begnügen oder Richard Taubers eindrucksvolle Tondokumente genießen.
02.09.2001 * (sfb)
Wer auch immer im Tasch spielte, jedenfalls feierte "Wer..." am Samstagabend(1. September) im vollbesetzten
Theater am Schwanhof
(TASCH II ) Premiere. Die Vorlage zu diesem modernen Stück lieferte der 30- jährige Oscar von Woensel. Und wer waren die Schauspieler? Dies hätte aus dem Programmheft hervorgehen können, das der geneigten Rezensentin jedoch vorenthalten blieb. Die Inszenierung fing also an der Theaterkasse an. Denn im Stück traten durchweg no-name-persons auf.
Ort des Geschehens war eine moderne Sitzecke. Dort fanden sich fünf Geschwister -drei Männer und zwei Frauen - nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern ein. Mehr gab die Handlung nicht her. Auch fehlten die Spannungsbögen.
Die Athmoshäre war latent aggressiv und nervös. Zwischen wenigen originellen gags langweilten nichtssagende Dialoge. Die Figuren fanden den roten Faden nicht; wie die Zuschauer wußten auch sie nicht, worum es eigentlich ging. Ausschließlich mit sich beschäftigt, kreisten sie orientierungslos um die Frage "Wer bin ich", die wie das eigene Ich doch im Dunkeln blieb. Die Bekenntnisse "Ich bin Künstler" oder "Ich bin Schriftsteller" erwiesen sich lediglich als Rollenklischees, als erbärmliche Etikettenschwindel, die unentwegt im Cognac betäubt wurden.
Jeder steckte in einer dicken Identitätskrise, aus der es keinen Ausweg gab. Im Spiegel der anderen sahen sich die Figuren, ohne sich aber zu erkennen. Sie bezichtigten den anderen des Selbstbetrugs, dem sie doch selbst aufsaßen.
Woensel zog sämtliche Register der abgedroschenen Zeitkritik in einer ebenso klischeehaften Darstellung. Er zeichnete ein realistisches Abbild der vorherrschenden Beziehungsarmut, die aber - wie die Personen auch - ohne Perspektive und Ausweg blieben.
Wirklich gelungen war allerdings die Inszenierung von Uta Eisold. Besonders interessant wirkte das Bühnenbild: eine Spiegelwand, hinter die die Figuren zurücktraten und über die eigene Einsamkeit monologisierten. Wie die Figuren ihre eigenen Schwächen beim Gegenüber ausmachten, diente die Spiegelwand als Prrojektionsfläche des Publikums.
Beeindruckt haben auch die schauspielerischen Leistungen der fünf Akteure, die konzentriert und authentisch in ihre Rollen eintauchten. Nervös und gereizt verbreiteten sie eine emotionale Kälte, die greifbar im Raum stand.
Obschon der Unterhaltungswert des Stücks gegen Null lief und die verschämte Sehnsucht nach einem sinnenfrohen Ohnsorgtheater aufkommen ließ, ist "Wer..." durchaus empfehlenswert. Verhaltener, aber lang anhaltender Applaus des Publikums wurde dieser Aufführung sicherlich gerecht.
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27.08.2001 *
Jenseits von Gut und Böse: "Die Weiße Rose"
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