Wissenschaft


Abreißen: Wichtige Wirkungsstätte Behrings bald weg?


27.12.2001 * (
FJH)
In diesen Räumen wurde Medizingeschichte geschrieben. Dennoch könnte schon zum Dreikönigstag der Kommerz über den Denkmalsschutz siegen und das Gebäude am Wannkopf der Spitzhacke preisgeben. Während Marburg mit großem Aufwand das hundertjährige Jubiläum der Nobelpreisverleihung an Emil von Behring feiert, droht dem Behring-Laboratorium der Abriss.
Es mutet an wie eine Provinzposse, aber die Eigentümer des Gebäudes, die Firma PPS Bauträger in Niederweimar, verfügen über eine gültige Baugenehmigung für das Grundstück in der Wannkopfstraße, auf dem derzeit noch das Laboratorium des bedeutenden Marburger Forschers steht.
1996 hatte die Hoechst AG als damalige Eigentümerin eine Abbruchgenehmigung beantragt und einen Bauantrag für ein Gästehaus gestellt. Der Abbruchgenehmigung folgte mit einem Jahr Verzug die Baugenehmigung. 1999 kaufte PPS das Anwesen und wollte hier nun Wohnungen errichten.
Nicht wegen der Bausubstanz wollte das Landesamt für Denkmalpflege das Gebäude im Landhausstil jetzt schützen, sondern wegen seiner historischen Bedeutung. Immerhin wurde hier das erste Serum gegen Diphtherie entwickelt.
Vergeblich versuchten die Stadt Marburg und die Untere Denkmalbehörde, den Abriss zu verhindern. Dem Landesamt für Denkmalpflege reicht schon eine Erinnerungstafel an der geschichtsträchtigen Stelle aus, um an das Laboratorium zu erinnern. Magistrat und Stadtparlament hingegen versuchen, das Bauwerk zu retten. Oberbürgermeister Dietrich Möller verhandelt mit den Eigentümern über alle erdenklichen Möglichkeiten bis hin zum Grundstückstausch.
Diese Bemühungen sind des Fleißes aller Edlen wert. Es wäre wahrlich ein Schildbürgerstreich, wenn ausgerechnet während der Jubiläumsausstellungen zu Behrings Nobelpreisverleihung sein Laboratorium dem Presslufthammer zum Opfer fiele. Dann hätten die Besucher des Wannkopfs auch nichts mehr von einem Schild "Hier stand einmal Behrings Laboratorium". Wohl keinem Denkmalschützer käme es in den Sinn, die Oberstadt abzureißen und stattdessen eine Tafel aufzustellen "Es war einmal..."


Grunzen im Hörsaal: Mythos als rituelle Aufführung


20.12.2001 * (
sfb)
Mit voluminöser Stimme intonierte er einen Vers in fremder Sprache. Dann verfiel er in ein eigenartiges Grunzen und wurde immer kleiner hinter seinem Rednerpult. Diese etwas andere Vortragsweise gab der Ethnologe Michael Oppitz aus Zürich am Mittwochabend (19. Dezember) zum Besten. In der Reihe "Studium Generale" der Philipps-Universität referierte der Nepalforscher im Hörsaalgebäude über "Mythos als rituelle Aufführung".
Gleich zu Beginn des überaus anschaulichen Vortrags erfuhr das Auditorium von einem Entstehungsmythos der Erde aus dem Nordwesten Nepals. Wie ein Märchenonkel aus einer fernen Welt erzählte Oppitz den Mythos nach. Der Nacherzählung fehlt, was sein Original hat. Dieses ist metrisch streng gebunden, hat eine festgelegte Länge und wird in der Regel von Schamanen gesungen. Die mündliche Überlieferung des Mythos ist ein Feld der philogischen Forschung des Schweizer Wissenschaftlers. Neben dem Augenmerk auf Wortwahl, Versmaß und andere formale Eigenschaften interessiert Oppitz, wie die Einzelmythen miteinander verknüpft sind.
In Initiationsgesängen oder Weissagungen künden Schamanen von der Entstehung der Erde, Kultur und Natur, wie wir sie heute erleben. An Hand von Dias erläuterte Oppitz neun Arten von Entstehungsmythen, die den aktuellen Phantasieprodukten wie "Harry Potter" oder "Der Herr der Ringe" in nichts nachstehen. So erfuhr der Zuhörende, wie die Welt aus Vogelkot geschaffen ist. Oppitz wußte aus Erfahrung zu berichten, dass sich der vortragende Schamane dabei seine Schuppen vom Arm streift, die er den "Kot der Urzeit" nennt.
Die Figuren in den Mythen sind in ständigen Metamorphosen begriffen. Ein kleiner Junge verwandelt sich zu einem räuberischen Vogel, der seiner nachlässigen Mutter entflieht. Ein anderer Mythos handelt von Hexenschwestern, die in neun Gebirgszüge verwandelt werden. Die zu Stein gewordenen Hexen sind heute noch zu sehen.
Alle Mythen, die durch Personen und Ereignisse miteinander zu einer Serienhandlung verbunden sind, bestehen auch isoliert voneinander. Der serielle Charakter, so Oppitz, sei dafür geschaffen, die Mythen für rituelle Handlungen einzusetzen. Nicht selten gehen Mythen in ein rituelles Geschehen über, das zu bestimmten Zecken wie Heilung und Geisterbeschwörung eingesetzt wird oder die Jahreszyklen wiedergibt. Mythos und Ritual ergänzen einander, da sie gleichzeitig von Gleichem handeln.
Die Rituale sind in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, die doch eines gemeinsam haben: Sie versuchen negative Einflüsse abzuwenden oder flüchtige Seelen zurückzuholen. Der Aufbau sowie die kinetischen Elemente der Riten dienen dazu, die Aussage des Mythos angemessen zu formulieren. Es gibt für einen Ritus bestimmte Mythengesänge. So präsentierte Oppitz mit vollem körperlichen Einsatz eine Sequenz aus einem sogenannten Auxiliargesang. Darin macht sich der Sänger auf die Suche nach einer verlorengegangenen Seele. Nach einigen Takten verwandelt er sich in ein grunzendes Schwein. Das im Protokoll vorgesehene Wälzen auf dem Boden hat Oppitz dem Publikum jedoch vorenthalten. Seine Rückenschmerzen haben ihn daran gehindert.


Global galaktisch: Planetenlehrpfad jetzt im Internet


19.12.2001 * (
FJH)
"Man muss die Sonne auf die Erde herunterholen, damit man sie betasten kann", erklärt Hans Junker. Im September 1995 hat der Lehrer an der Carl-Strehl-Schule (CSS) genau das getan: Seitem verläuft Deutschlands erster blindengerechter Planetenlehrpfad in Nord-Süd-Richtung durch Marburg. Seit Mittwoch (19. Dezember) kann man diese - im wahrsten Sinne - handgreifliche Darstellung des Sonnensystems auch im Internet finden. Bei einer Pressekonferenz stellten Hans Junker und Wolfgang Ruhland in der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) die neue Webseite www.planetenlehrpfad-marburg.de vor.
Ruhland, Webdesigner bei der Firma Marburg-Internet, hat alle wichtigen Informationen zum Lehrpfad und zum Thema Astronomie in einer blindengerrechten Textversion und einer - mit vielen Bildeffekten garnierten - Frames-Version ins Netz gestellt. Wer die Himmelskörper betrachtet und die beigefügten Angaben aufmerksam gelesen hat, kann anschließend bei einem Quiz ein Hörbuch gewinnen. Natürlich informiert die Internetseite auch über das Zustandekommen des Planetenlehrpfads.
Sieben blinde und sehbehinderte Schüler der CSS haben der Stadt zu dieser Attraktion verholfen. Seit gut sechs Jahren veranschaulicht er eindrucksvoll die gigantischen Größenverhältnisse im Sonnensystem.
Der sechs Kilometer lange Lehrpfad stellt die Größenverhältnisse des Sonnensystems maßstabgetreu dar. Er zieht sich durch das gesamte Stadtgebiet von Cappel im Süden - immer am Lahnufer entlang - bis zu den Afföllerwiesen unweit des Hauptbahnhofs.
Acht Halbkugeln auf Betonsockeln am Wegesrand stellen je einen Planeten dar. Die kleinste Halbkugel hat nur vier Zentimeter Umfang. Die Sonne ist eine 1,39 Meter große, leuchtend gelbe Stahlbetonkugel.
Mit der Wiedergabe aller Informationen auch in der nach dem französischen Blindenlehrer Louis Braille benannten Punktschrift war dieser achte deutsche Planetenlehrpfad zugleich die weltweit erste blindengerechte Darstellung dieser Art, die inzwischen aber schon Nachahmer gefunden hat. Im September 1996 wude Hans Junker für sein vorbildliches Projekt von der Deutschen Astronomischen Gesellschaft ausgezeichnet. Wie der Lehrer vorrechnet, können auch langsame Fußgänger hier eine beachtliche Geschwindigkeit erreichen: "Wenn man mit einer Geschwindigkeit von vier Stundenkilometern losgeht, dann bewegt man sich im Verhältnis zu den Planeten am Weg mit dreieinhalbfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum."


Zweifeln, ohne zu verzweifeln: "Undogmatischer Atheismus"


14.12.2001 * (
FJH)
"Meine Zahnschmerzen kann mir niemand abnehmen", sagt Dr. Joachim Kahl. "Ein guter Freund kann mich aber zum Zahnarzt fahren udn mir dort das Händchen halten.
Mit einem Vortrag des Marburger Philosophen zum Thema "Undogmatischer Atheismus - Ideen zu einem weltlichen Humanismus" hat die Volkshochschule Marburg (VHS) am Donnerstag (13. Dezember) ihre Veranstaltungsreihe "Weltreligionen und Christentum" beendet. Anhand des Gedichts "Kein Gott" von Heinz Kalau stellte Kahl vor gut 70 Zuhörerinen und Zuhörern im Stadtverordnetensaal seine atheistische Weltanschauung vor.
Während religiöse Menschen auf ein "Höheres Wesen" und "Erlösung" hoffen, erklärt Kahls Humanismus den Menschen zum eigenverantwortlichen Individuum. Die Sinnsuche muss jeder selbst bewältigen. Seine Erfahrungen kann niemand anderes für ihn machen. Der Philosoph Martin Heidegger hat dafür den Begriff "Jemeinigkeit" geprägt. Jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich.
Die großen Weltreligionen - so Kahl - vertrösten ihre Anhänger auf den Sieg des Guten über das Böse. Selbst die Arbeiterbewegung glaube an "das letzte Gefecht". Tatsächlich seien aber Gut und Böse, Freiheit und Unterdrückung, Wahrheit und Irrtum ohne ihr Gegenteil nicht denkar. Diesen dialektischen Widerspruch müsse der Mensch aushalten.
"Zweifeln, ohne zu verzweifeln" - auf diese griffige Formel brachte der Dichter Bertolt Brecht die kritische Haltung des Humanisten. Das Leben selbst sei sinnleer, aber sinnfähig. Jeder - so Joachim Kahl - müsse es mit eigener Sinngebung auffüllen.
"Ich habe keinen Gott" schreibt Heinz Kalau in seinem 1973 entstandenen Gedicht. Werte freilich vermittelt der Text des Ost-Autors: Respekt vor Mensch und Tier sowie der Umwelt als Lebensgrundlage sind klassische humanistische Werte. Die persönliche Sinnsuche müsse sich dabei in gemeinschafttliche Grenzen fügen. Die unentwegte Bewegung, wie sie Kalau mit seinem Textpropagiert, muss sich nach Kahls Ansicht aber auch mit Muße und Ruhe abwechseln. In das Unvermeidbare sollte man sich fügen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Hierfür führte der Marburger Philosoph den Begriff "Abschiedlichkeit" ein.
Der Abschied von Gott sollte nach seiner Ansicht aber nicht durch neue Gottheiten ersetzt werden. Diese Gefahr sieht er im anmaßenden Umgang vieler Forscher mit der Natur. Ob Kahls "Undogmatischer Atheismus" selbst auf jegliche Gottheit verzichtet, darüber stritten sich einige Teilnehmer im Anschluss an sein - prägnant vorgetragenes - Referat. Sobald der Atheismus zur Ideologie wird, so Kahl, sei auch er nicht mehr als eine Ersatzreligion.


Nie-gelungen: Heinzle zerstörte Mythos


13.12.2001 * (
sfb)
" Uns ist in alten maeren wunders vil geseit von helden lobebaeren von grozer arebeit." Damit beginnt der erste Vers des Nibelungenliedes. Warum er so beliebt ist, erklärte Joachim Heinzle, Professor für Mediävistik an der Philipps-Universität Marburg, am Mittwochabend (12. Dezember). Im Raum 114 des Hörsaalgebäudes referierte der Nibelungenforscher im Rahmen des "studium generale" über das Thema "Das Nibelungenlied - nationaler Mythos der Deutschen".
Was war dran am Nibelungenlied, dass die Deutschen es zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem Mythos stilisierten? Klar ist, dass die im Werk geschilderten Ereignisse wie der Untergang der Burgunder herzlich wenig mit der deutschen Geschichte zu tun haben. Auch das Intrigenspiel Hagens, das zur Ermordung Sigfrids und folglich Krimhilds Rache führt, ist nicht historisch belegt. Die Personen sowie die Ereignisse basieren zwar auf alten Vorlagen, die aber nicht faktengetreu wiedergegeben sind. Hinzu kommt, dass das Werk erst an der Schwelle zum 13. Jahrhundert zu Pergament gebracht wurde. Vorher hatten professionelle Sänger es über Jahrhunderte hinweg mündlich überliefert. Wenn nicht die Geschehnisse, was war es dann, warum das Nibelungenlied so faszinierte? In dem Text, den ein Wissenschaftler am 29.Juli 1755 beim Stöbern entdeckte, sahen man ein paar Jahrzehnte später den "Geist und die Sitten der altdeutschen Vorzeit" durch seine Helden verkörpert. Die deutschen Nationaltugenden wie Treue, Großmut, Freundschaft, Milde interessierten seinerzeit die Gemüter. Sie sollten Vorbild und Trost sein in schwerer Zeit, als die napoleonischen Krieg zu Beginn des 19. Jahrhunderts die deutschen Lande verwüsteten. Frei nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark" gegen die französische Fremdherrschaft, diente das Heldenepos dem in Kleinstaaten zersplitterten Volk zur nationalen Identitätsbildung. Zudem hat die Homerisierung das Lied der Nibelungen und damit die Selbstdarstellung der Deutschen ungemein aufgewertet. Der Mythoscharakter entstand also in dem Bedürfnis nach einer nationalen Wurzel; was das Nibelungenlied tatsächlich war, interessierte nicht. Auch später mußte diese Heldensaga in zahlreichen Reden namhafter Politiker des ausgehenden Kaiserreichs zu ideologischen Zwecken herhalten. So mißbrauchte Paul v. Hindenburg den Begriff der Nibelungentreue, um die Dochstoßlegende glaubwürdig erscheinen zu lassen. Die von Heinzle angeführten Beispiele ernüchtern. Die vielzitierte Nibelungentreue zum Nibelungenlied dürfte nach seinem Vortrag wohl verblassen.


Nobel-Menü mit Einlagen: Gala-Diner im Sorat-Hotel


13.12.2001 * (
FJH)
Es war - im wahrsten Sinne - ein Jahrhundertereignis. Was Emil von Behring und das Nobelpreiskomitte am Abend des 10. Dezember 1901 im Grand Hotel zu Stockholm speisten, das wurde hundert Jahre später im Sorat-Hotel zu Marburg wieder aufgetischt. Als zusätzliche "Einlage" rezitierte der Schauspieler Peter Meyer vom Hessischen Landestheater am Mittwochabend (12. Dezember) in dem Marburger Hotel aus Briefen Behrings und anderen Texten über die Preisverleihung.
Nach der Vorspeise - Bohnen, Waldpilzsalat und Muscheln - verlas Meyer zwei Briefe Behrings an seine Familienangehörigen in Marburg. Sein Toast beim Festbankett - so berichtet der Nobelpreisträger darin - sei auch von der schwedischen Königsfamilie gut aufgenommen worden. Königliche Gäste waren beim Marburger Gala-Diner im Sorat-Hotel zwar nicht zugegen, aber die "bessere Gesellschaft" der Stadt war fast vollzählig versammelt.
[Portraitfoto: Emil von Behring]        Zu den Fotos!        [Karrikatur]

Sein Rheuma - so war zu hören - schützte Behring vor alzu anstrengenden Verpflichtungen. Den 11. Dezember verbrachte er deswegen im Bett, nachdem die Preisverleihung vorüber war. Seine Nobelpreisvorlesung am 12. Dezember war - so freute er sich in einem Brief vom 13. Dezember 1901 - "ein wahrer Triumphzug".
Bis zum Tag der Preisverleihung waren die Preisträger geheim gehalten worden. Das berichtet ein Stockholmer Student, der später selbst Vorsitzender des Nobelpreiskomitees wurde. Als Wilhelm Röntgen und Emil von Behring in Stockholm ankamen, da wussten Interessierte damit auch nur, dass unter den zwölf Preisträgern auch zwei Deutsche waren.
Nach einer Trilogie von Fisch" folgte die zweite Einlage Meyers, dann als Hauptgericht feinstes Rinderfilet auf Spitzgemüse mit Süßkartoffelbrei. Der Koch und Ernährungswissenschaftler Christoph Seiferth hatte der Hotelküche die Original-Rezepturen vermittelt.
Die Methoden zur Impfstoffherstellung brachten Behring nicht nur beträchtlichen Reichtum ein, sie retteten auch Hundertausenden das Leben. Ohne diese Arzneien endete der Wundstarrkrampf - lateinisch "Tetanus" - meist mit dem Tode.
"Irgendsoein Idiot hat Behrings Pferde beschlagnahmt", sagte ein Stabsarzt während des 1. Weltkrieges im Lazarett zu einem Oberst, dessen Sohn wegen der fehlenden Impfstoffe sterben musste. "Es wird noch Monate dauern, bis wieder IMpfstoffe da sind. Die Leute sterben weg wie die Fliegen."
Der "Idiot", der 1914 trotz erbitterter Proteste des Nobelpreisträgers die Pferde beschlagnahmt hatte, in denen Behring die Antikörper für Tetanus- und Diphterie-Impfstoffe anzüchtete, war - so verlas es jedenfalls Peter Meyer - genau jener Oberst.


Gewürdigt: Emil von Behring im Marburger Rathaus


12.12.2001 * (
FJH)
Brechend voll war es am Mitttwochabend (12. Dezember) zur Ausstellungseröffnung im Marburger Rathaus. Zu Lebzeiten genoss Emil von Behring in Marburg nicht so viel Respekt wie 100 Jahre nach der Nobelpreisverleihung. "Mit aller mir zu Gebote stehenden Rücksichtslosigkeit" ist der Titel einer Präsentation, die bis zum 28. Januar im Rathaus zu sehen ist.
In Anwesenheit von Behrings Schwiegertochter Sigrid und seines Enkelsohns Emil von Behring würdigte Bürgermeister Egon Vaupel zur Eröffnung den Marburger Wissenschaftler: "Er hat nicht nur den Namen der Stadt in alle Welt hinausgetragen, sondern auch hier mit den Behringwerken ein Lebenswerk hinterlassen."
Die vom städtischen Kulturamt gemeinsam mit Wissenschaftlern der Philipps-Universität und Mitarbeitern der Firmen Aventis-Behring und Pharmaserve erarbeitete Ausstellung ist anhand des Marburger Stadtplans aufgebaut: Im Rathaus, das ein Foto zeigt, wird Behrings Wirken als Kommunalpolitiker dargestellt. Das Schlossberg-Laboratorium steht für seine wissenschaftliche Arbeit. Die Behring-Villa ist Dreh- und Angelpunkt aller Exponate zu Behrings Privatleben. Die Elsenhöhe symbolisiert seine unternehmerischen Aktivitäten. Das Hygiene-Institut steht für die Anfänge seiner Arbeit. Den Nobelpreis und alle damit verbundenen Unterlagen schließlich konnte kein Ort im Marburger Stadtplan darstellen; er steht logischerweise im Mittelpunkt des Ausstellungsraums.
Briefe, Urkunden und Fotos veranschaulichen das Leben des Nobelpreisträgers, der 1854 als Sohn eines Schusters im westpreußischen Hansdorf geboren wurde und 1917 in Marburg starb. Hinzu kommen Filme und andere Lehrmaterialien der Behring-Nachfolgefirmen. Ein Diorama zeigt den Arzt und Immunologen im Gespräch mit einem Schüler.
Die segensreiche Erfindung der Impfstoffe gegen Tetanus und Diphterie brachte Behring schon lange vor dem Nobelpreis weltweiten Ruhm ein. Nur ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst nahm die französiche Legion dïHonneurs ihn auf. Die Marburger Medizinprofessoren hingegen lehnten seine Berufung nach Marburg ab. Ihre konservative Haltung veranlasste Kulturamtsleiter Dr. Richard Laufner zu der süffisanten Frage, ob die Selbstverwaltungsgremien der Universität heute wohl weiser entscheiden würden.
Wie der Andrang zeigt, ist Behrings Leistung in Marburg jetzt unumstritten. Die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Verleihung des Nobelpreises für Medizin an den Marburger Wissenschaftler und Unternehmer gipfelten am Mittwochabend in einem Festessen mit historischer Menüfolge. Während dieses Gala-Diner im Sorat-Hotel nur ein einziges Mal serviert wird, können Interessierte die Ausstellung im rathaus bis zum 28. Januar täglich zwischen 10 und 18 Uhr besichtigen. Eine weitere Präsentation im Schloss behandelt Behrings wissenschaftliche Arbeit. Sie ist dienstags bis sonntags zwischen 11 und 17 Uhr geöffnet.


Auf Sand gebaut: Virtuelle Waffen im Cyberkrieg"


11.12.2001 * (
FJH)
Bei ihm laufen alle Informationen zusammen. Wird irgendwo auf der Erde ein Computervirus gefunden, geht eine Kopie davon nach Hamburg. Im Rahmen der Ringvorlesung "Bedrohung von Mensch und Natur - übertrieben oder verharmlost?" referierte Prof. Dr. Klaus Brunnstein vom "Zentrum für sichere Netzdienste" (CERT) der Universität Hamburg am Montagabend (10. Dezember) über "Virtuelle Waffen im Cyberkrieg und Verteidigungsmöglichkeiten". Ganz "real" waren rund 150 Interessierte ins Hörsaalgebäude der Philipps-Universität gekommen, um sich ihre Illusionen über Datensicherheit rauben zu lassen.
"Goner", "Badtrans", "Nimda" oder "I love You" heißen die "Ferkeleien", die Brunnstein anhand vorbereiteter Folien auseinandernahm. Die Urheber des jüngsten Computervirus "Goner" waren gerade erst einen Tag zuvor in Israel verhaftet worden. Es handelte sich um vier Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren, die mit diesem "Computerwurm" vor allem amerikanische Firmen heimgesucht hatten. Ende voriger Woche war bereits jede 30. Mail mit diesem "Wurm" verseucht. Als "Würmer" bezeichnen die Experten Computerviren, die sich über das Internet und e-Mails selbst weiterverbreiten. Der entstandene Schaden liegt in aller Regel im Befall der betroffenen Rechner.
Derzeit sind rund 70.000 Computerviren bekannt. jede 300. Mail enthält einen Virus oder Wurm. Wird irgendwo auf der Welt so ein Computerschädling gefunden, geht eine Kopie davon an das CERT in Hamburg. Dort sammeln Brunnstein und seine Mitarbeiter alle Informationen über derartige Programme.
"Gottseidank verfügt Ossama Bin Laden nicht über diese Kenntnisse", sagt Brunnstein erleichtert. Er weiß nur von einer terroristischen Atktion in diesem Bereich zu berichten: Die "Tarmil Tigers" - eine "Befreiungsorganisation" in Srelanca - "bombardierte" ihre Regierung mehrere Tage lang mit 800 Mails täglich.
Solchen e-Mail-Atttacken sind große Firmen häufiger ausgesetzt. In der Regel wird versucht, die Unternehmen damit zu erpressen. Sind die Rechner - beispielsweise des Online-Buchhändlers Amazon - derart durch massenhaft zugesandte Mails für Stunden lahmgelegt, können in dieser Zeit keine einträglichen Aufträge abgewickelt werden.
Für noch gefährlicher hält Brunnstein die sogenannten "Trojaner". Diese Programme spionieren auf den befallenen Rechnern alle Passwörter aus und verändern sie hinterher vielleicht sogar. Dann hat man selbst keinen Zugang mehr zu eigenen Daten.
"Höchstmöglicher Schaden mit geringsten Mitteln" wäre nach Brunnsteins Einschätzung die Devise terroristischer Attacken auf Datensysteme. Erreicht hat die US-Regierung dieses Ziel im Krieg gegen den Irak, als von US-Firmen dorthin gelieferte Radarsysteme so manipuliert wurden, dass die aufgezeichneten Koordinaten der erfassten Objekte verschoben waren.
Eine Sicherheit gegen Manipulationen bieten nach Brunnsteins Überzeugung nur "Securenets", die von jeder äußeren Eingriffsmöglichkeit physikalisch abgetrennt sind. Eine Operation über das Internet hält der 64-jährige Professor angesichts der vielfältigen Störungsgefahren dort für unverantwortlich.

PC-Pionier: Es begann mit dem "Studium Generale" in Marburg


11.12.2001 * (
FJH)
Seit 1965 beschäftigt sich Klaus Brunnstein mit Computersystemen. 1957 kam der - damals 20-jährige - gebürtige Kölner zum Mathematikstudium nach Marburg, weil es hier das "Studium Generale" gab. So hörte er auch Vorlesungen in Physik, Chemie, biologie und Philosophie. 1959 wechselte er nach Hamburg über, wo er sein Studium 1962 abschloss. Nach der Promotion 1965 baute er die Rechnersysteme des Großforschungsprojektes "DAISY" auf. 1968 gründete er den Deutschen Forschungsnetzwerkverein (DFN) mit, der später das Internet in Deutschland aufgebaut hat. 1973 übernahm er den zweiten Lehrstuhl für Informatik an der Universität Hamburg. Seit 1988 befasst sich Brunnstein mit Computerviren. Er hat die "forensische Informatik" gegründet, die die Urheber der Viren anhand von Datenspuren dingfest zu machen versucht. Als einzige Universität weltweit bildet sein Fachbereich in einem eigenständigen Studiengang Experten für Computersicherheit aus.
Gerade wegen dieses Hintergrundwissens tätigt Brunnstein keine Geschäfte mit Kreditkarte über das Internet: "Für dieses Risiko ist mein Professorengehalt zu klein!"


Können können: Vortrag über "Gentechnik und Menschenwürde"


07.12.2001 * (
FJH)
"Das ist so etwa wie die Kunst, können zu können", kritisierte Prof. Hans Schauer den Potentialitätsbegriff des Philosophen und Theologen Rober Paemann. Schauer referierte am Donnerstagabend (6. Dezember) beim Philosophia e.V. im Philippshaus über "Gentechnik und Menschenwürde".
Schon der befruchteten Eizelle schreibt Paemann Menschenwürde zu. In ihr lägen alle "Möglichkeiten, menschliche Fähigkeiten zu entwickeln". Deswegen komme ihr dieselbe Würde zu wie dem geborenen Menschen.
Schauer bezeichnete diese Begründung mit der "Potentialität", einmal Mensch zu werden, als "argumentative Hängebrücke". Mit derselben Logik könne man auch jedes Spermium und jede unbefruchtete Eizelle als Träger von Menschenwürde betrachten. Paemanns Schlussfolgerung, befruchtete Eizellen dürften nicht vernichtet werden, schloss sich der Marburger Psychologe deswegen nicht an.
Die Natur - so führte Schauer aus - habe die Vernichtung von E- und Samenzellen von vornherein mit eingeplant. Bei jeder Ejakulation würden 300 Millionen Spermien verspritzt. Eine Frau produziere während ihres Lebens immerhin 500 Eizellen. Nur der allergeringste Teil davon werde wirklich zu menschlichem Leben.
Wenn schon die Natur ihre Zerstörung mit einplane, dann könne es auch nicht verwerflich sein, wenn der Mensch befruchtete Eizellen vernichte. Den Begriff "Menschenwürde" wolte Schauer auf diese "winzigen Zellklumpen " nicht angewandt wissen. Würde - so leitete er ab - habe etwas mit Größe, hohem Rang, Ansehen, Ehre und Respekt zu tun.
Trotz seines eindeutigen Plädoyers für die Abschaffung des Paragraphen 218 sprach sich Schauer aber für einen Schutz vorgeburtlichen Lebens aus. Hierfür schlug er ein gestuftes Konzept vor, das den gesetzlichen Schutz bei zunehmender Lebensfähigkeit erhöht. Wenn der Embryo auch außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig ist, erst dann kommt ihm nach Schauers Auffassung derselbe Schutz zu wie dem geborenen Kind.
Ausdrücklich sprach sich Schauer für den Respekt vor jedem geborenen Leben aus, wie schwer es auch immer behindert sein möge. Die deutsche Geschichte verpflichte zu sensiblem Umgang mit den Menschenrechten, die er anstelle der Menschenwürde geschützt wissen will. Menschenwürde sei ein sehr schwammiger und interpretationsbedürftiger Begriff, wohingegen Menschenrechte klar definiert werden könnten.
In der anschließenden Diskussion forderte der Marburger Philosoph Dr. Joachim Kahl eine "Demokratisierung der Menschenwürde" ein. Auch er hielt die Formulierung des Grundgesetzes für erneuerungsbedürftig, das in seinem Artikel 1 sagt: "Die Menschenwürde ist unantastbar". Dagegen zitierte Kahl den Titel eines Buchs von Franz-Josef Wetz: "Die Menschenwürde ist antastbar."


Verdient: VW-Stiftung fördert Marburger Forschungsprojekt


04.12.2001 * (
sfb)
Wer denkt, das wenigstens das Dorf ein Stück unberührte Natur bietet, irrt. Der weithin veränderte Lebensstil hat Folgen für die dörfliche Vegetation. Die Auswirkungen will ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Philipps-Universität Marburg untersuchen. Unter der Leitung von Dr. Jens Jetzkowitz und Dr. Stefan Brunzel von den Fachbereichen Soziologie und Biologie soll der Pflanzenwuchs in 50 Dörfern der hessischen Wetterau unter die Lupe genommen werden.
Das kostet viel Geld. Mit - sage und schreibe - 440 000 Euro unterstützt die Volkswagenstiftung dieses großangelegte Vorhaben im Rahmen der "Nachwuchsförderung in der fächerübergreifenden Umweltforschung". Die Marburger Wissenschaftler haben sich mit drei anderen Gruppen unter insgesamt 17 Antragstellern um die begehrte Ausschreibung durchgesetzt. Wenn das kein Erfolg ist!


30.11.2001 * Gründerwissen: CD-ROM informiert Studienabgänger


Wissenschaft


© 31.12.2001 by