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Text von Sonntag, 13. Oktober 2002


Klinisch tot: "Dantons Tod" im EPH

Marburg * (sfb)
"Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet ?" Was auch immer es sei, muß man es in seine Schranken weisen, auslöschen oder soll man es gewähren lassen? Wie beantwortete "Dantons Tod" von Georg Büchner diese Frage? Das Stück des hessischen Dramatikers feierte am Samstagabend (12. Oktober) im Erwin-Piscator-Haus (EPH) Premiere.

[Danton und Robespierre]

Bereits vor 50 Jahren hatte der Regisseur und Theaterpädagoge Erwin Piscator nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil sich des spannenden Dramenstoffs angenommen. In diese großen Fußstapfen trat jetzt Ekkehard Dennewitz, Intendant des hessischen Landestheaters.
Gestalten mit nacktem Oberkörper und verbundenen Augen treten in Szene. In bilderreicher Sprache philosophieren sie über die ideale Staatsform, während Frauen ihre Leiber abwaschen. Bald schon erschließt der "Unbestechliche" diese allegorische Darstellung. Notfalls mit Terror soll der Bürger von allen Untugenden und Lastern befreit werden. So will es der Jakobiner Robespierre (Thomas Streibig), radikaler Anführer der französischen Revolution.
Das Stück handelt von ihrer Endphase im April und Mai 1794, wo sie in ihr Gegenteil umgeschlagen ist und "ihre Kinder frißt".
Georges Danton (Peter Radestock), der maßgeblich zum Sieg der Revolution beigetragen hat, muß nun dran glauben. Robespierre will ihn unter dem Vorwand der moralischen Säuberung eliminieren. In Wirklichkeit ist der machthungrige Robespierre verärgert über die Kritik Dantons an seinen Ideen vom makellosen Menschen, die er gewaltsam durchsetzen möchte.
Die Botschaft von Tod und Säuberung korrespondiert mit dem technisch perfekten Bühnenarrangement. Das ist mal schwarz oder weiß, aber immer karg gehalten. Aalglatt und abgeleckt treten auch die Akteure um Robespierre in Erscheinung. Diese moralischen Saubermänner, in aseptischem Krankenhaus-Weiß mit starren Minen, enthalten sich jeder menschlichen Regung. Nüchtern polemisieren sie über die Sache der Revolution.

[Peter Radestock als Danton]

Danton hingegen, der sich lieber mit Huren vergnügt, wirkt relativ menschlich. Peter Radestock bewies in dieser Rolle einmal mehr, dass er nicht nur das komische Fach mit Bravour beherrscht.
Allerdings lag auf seinen schauspielerischen Qualitäten ein Schatten, der die ganze Aufführung überzog. Kaltes Bühnenlicht und dumpfe Taktschläge aus dem Hintergrund beschnitten die zweifellos guten Leistungen aller Akteure in ihrer Wirkung. Die dramatischen Höhen und Tiefen des Stücks, in dem es um Leben und Tod geht, wurden dadurch eiskalt amputiert und zu einem monotonen Einerlei nivelliert. Dem perfekt gestylten Stück fehlt die emotionale Ausstrahlung. Die Inszenierung wirkte kühl und sehr distanziert, sie plätscherte über weite Strecken wie langweiliger Deutschunterricht dahin. Dantons Verzweiflung vor seinem gewaltsamen Ende beispielsweise registriert der Zuhörer allenfalls, aber sie ergreift ihn nicht.
Dabei ist "Dantons Tod" alles andere als langweilig. Georg Büchner hat sein Drama 1835 aus großer Betroffenheit heraus geschrieben, die auf den Leser der literarischen Vorlage überspringt. Die klinisch tote Inszenierung von Ekkehard Dennewitz dagegen entgleitet einem. Entsprechend fiel auch der Applaus aus, der zwar langanhaltend, aber ebenso monoton war wie die Hintergrundgeräusche.
Die nächsten Aufführungen des erst 1902 uraufgeführten Dramas von Georg Büchner finden am 13., 22. und 23. Oktober sowie am 7. November in der Marburger Stadthalle statt.


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