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Text von Samstag, 2. März 2002


Welt-UN-Ordnung: "Wehrhafter Pazifismus"?

Marburg * (FJH)
"In dieser Zeit ist es in Mode, Kriege zu führen. Ich glaube, dass das noch einige Zeit andauern wird." Diese Zeilen schrieb nicht etwa ein Zeitgenosse Gerhard Schröders und Joschka Fischers, sondern schon vor rund 250 Jahren der Preußenkaiser Friedrich der Große an den französischen Philosophen Frederic Voltaire. Eine "friedenswissenschaftliche Zwischenbilanz" des aktuellen Kriegsgeschehens steht am Samstag (2. März) und Sonntag (3. März) auf der Tagesordnung des Kongresses "Nach dem Krieg ist vor dem Krieg". Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) und weitere Organisationen hatten zu der Tagung im Landgrafenhaus bundesweit eingeladen.
Zum Auftakt am Samstag (2. März) stellte Prof. Dr. Ralf Zoll vom Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität die Friedensforschung an der Marburger Hochschule vor. Studierende können hier neuerdings auch Prüfungen ablegen und Scheine erwerben. Gearbeitet werde unter anderem an nichtmilitärischen Konfliktlösungsstrategien.
"Krieg ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln." Diese Feststellung des preußischen Generals Carl von Clausewitz (1780 - 1831) hätten viele Menschen in der Vergangenheit missverstanden, meinte der Marburger Politologe Prof. Dr. Georg Fülberth. Krieg sei nicht - wie viele glaubten - die letzte Möglichkeit zur Konfliktlösung, sondern eine - zunehmend häufiger angewandte - Option der Regierenden zur Durchsetzung ihrer Interessen." Zur (neuen) Rolle Deutschlands im Krieg und gegen den Terror" verwies der Marburger Politikwissenschaftler auf den zunehmenden Einfluss Deutschlands in Europa. Was in zwei Weltkriegen nicht gelungen sei, das habe die Bundesregierung jetzt erreicht: Deutsche bestimmten nahezu überall in Europa mit.
Die Rolle der Grünen und ehemals friedensbewegter SPD-Politiker untersuchte Claudia Haydt von der "Informationsstelle Antimilitarisierung" in Tübingen. Sie erklärte sie mit einem Zitat des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi: "Solange Menschen hinnehmen, dass eine Regierung Macht über sie ausübt, wird es Kriege geben. Krieg ist die Folge von Regierungsmacht."
Mit "Lügen" sei es den ehemals Friedensbewegten gelungen, große Teile der bundesdeutschen Bevölkerung hinter ihre Position zu bringen. "Wir führen keinen Krieg gegen die Bevölkerung" oder "wir arbeiten zielgerichtet" seien Behauptungen, die die Opfer des Krieges unter der Zivilbevölkerung wegretuschierten. Ihre Zustimmung für K Militäreinsätze begründeten sie mit der Notwendigkeit eines "wehrhaften Pazifismus": Man habe leider keine andere Wahl, aber man gehe so behutsam vor wie möglich.
Auch der Einsatz der sogenannten "Kriesenreaktionskräfte" (KSK) erwecke den falschen Eindruck, dabei werde kein Unschuldiger zu Schaden kommen. Der - notwendigerweise - verdeckte Einsatz dieser Soldaten erfordere aber geradezu die Tötung aller, die sie bei ihrer mörderischen Arbeit beobachteten.
Die Legitimierung von Krieg durch "humanitäre" Ziele geißelte Prof. Werner Ruff von der Universität/Gesamthochschule Kassel. Sie sei ein Rückfall vor das Jahr 1648, als mit dem Westfälischen Frieden der Grundstein für das moderne Völkerrecht gelegt wurde. Ruff beobachtet in den letzten zehn Jahren indes einen schleichenden Abbau des Einflusses der Vereinten Nationen (UN). Ohnehin sei das Völkerrecht ein "anarchistisches" System, das letztlich nur das Recht des Stärkeren zementiere. So enthalte die UN-Charta Vorrechte für die Großmächte, die ihnen vor allem das Vetorecht im Weltsicherheitsrat garantiere.
Eine Reform der UN bewertete Ruff indes skeptisch: Die Aufstockung des Weltsicherheitsrates bringe ihn im Endeffekt nur zur Deckungsgleichheit mit der Runde der sieben Wirtschaftsgroßmächte: "Wenn der Club der größten Rüstungsexporteure im Weltsicherheitsrat über Krieg und Frieden entscheidet, dann kann man sich das Ergebnis schon ausmalen."


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