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Text von Samstag, 13. Oktober 2007

> k u l t u r<
  
 Liedermaching: Denglisches Festival im KFZ 
 Marburg * (ute)
Mit Liedertexten in der linken und mit einem Gitarrenkoffer plus Inhalt in der rechten Hand kamen sieben der besten Barden Deutschlands am Freitag (12. Oktober) zum 2. Marburger Liedermaching-Festival in den Kulturladen KFZ. In einer vierstündigen Veranstaltung präsentierten Recky Reck aus Bonn, Janina aus Hamburg, Bernd Barde aus dem Vogelsberg, das Duo "Kalter Kaffee" aus Erfurt und Fred Timm mit dem Flotten Totte - ebenfalls aus Hamburg - vertonte deutsche Sprachkultur.
Taktvoll wurde das Publikum mit taktlosen Texten zum Lachen gebracht. Aber auch ernste Lieder von Liebe, Leidenschaft und Obsession wurden gesungen.
Recky Reck begann den Abend mit einem Geständnis. "Neu in der Stadt", sang er und kommentierte dann seine ersten Eindrücke von Marburg als "nettes Kaff". "Lebt ihr gerne hier?" fragte der gebürtige Bonner ins Publikum. Er war überrascht, als ein lautes "Ja" zu hören war.
Daraufhin sang er "Augen zu und durch". Dabei handelt es sich um ein Lied von schlechten Zeiten, die man nicht mag, aber auch "nicht anders kennt".
Die musikalische Tonart wechselte dann. Jazzig klang es, als er seiner imaginären Freundin gestand: "Ich habe dir ein Wunder versprochen, aber ich habe es gebrochen".
Der Vergleich hinkte nicht, als Reck seine Liebe zum Schluss mit monumentalen Bauwerken beschrieb. Zuvor hatte er in perfektem Gitarrenspiel kommentiert: "Sing mir bitte kein Liebeslied".
Janina aus Hamburg ließ in ihrem Eingangslied die Hand über die Gitarre perlen, unterbrochen von erwartungsvoller Stille. Schon in den ersten Minuten ihrer Bühnen-Show explodierte sie wie ein Vulkan. Daran konnte auch die von ihr geliehene Gitarre nichts ändern, die sich immer wieder verstimmte. Das Publikum
war belustigt über diese unfreiwillige "Bühnen-Einlage".
"Love is a stranger", sang die 21-jährige Hamburgerin mal schreiend, mal schmeichelnd. Als einzige Liedermacherin präsentierte sie auch englische Texte. "Borrow me love", war ihr zweiter Anlauf.
Obsessionen und Abgründe, aber auch Leidenschaft und Hingabe taten sich in ihren Liedern auf. Von "der schlimmsten Zeit" berichtete Janina. Das ist "Nachts um halb drei", wenn sie ihrer Einsamkeit mit dem "Grasautomaten" begegnet. In "Alkoholmädchen" erzählte sie impulsiv von einer jungen Frau, die von ihrer Liebe zum Trinken beherrscht wird.
"Du weißt ja, ein Mann ist nie genug", sang sie dann und gestand "heimliche Affären".
Traurig klang sie, als sie zum Schluss fragte:"Warum schläfst du heute Nacht nicht mehr bei mir?"
Nach einer kurzen Raucherpause für das Publikum war der gebürtige Sachse Bernd Barde der dritte Akteur. Seit dem Wehrdienst in Hessen hier ansässig, berichtete er humorvoll von seinen Erfahrungen mit dem Bundesland der geographischen Mitte: "Learning Hessisch, selbst den Handkäs fress´ ich".
Barde selbst ist Initiator und Mitorganisator des Liedermaching-Festivals. Ihm ist die Auswahl der Liedermacher zu verdanken. Die Akteure hätten dabei nicht unterschiedlicher sein können.
Bardes Texte waren die ersten politischen, die an diesem Abend gesungen wurden. In seinem Lied von der Ost-Erweiterung bot er mit russischem Akzent an, dass jeder "Mord-Auftrag" möglich sei.
Auch das deutsche Zwei-Klassen-Gesundheitssystem nahm er auf die Schippe. Von einem genervten mittelhessischen Radio-Hörer berichtete er ebenfalls. Anstatt Musik hörte der immer nur Werbung. Dann gestand er halb ehrlich:"Mein Gott, wenn sie das wüsste , ich steh´ nur auf ihre Brüste".
Das darauffolgende Duo "Kalter Kaffee" hüpfte und sprang über die Bühne, begleitete die Texte mit lebhafter Gesichtsgymnastik. Die zwei jungen Männer sprühten nur so vor Lebensenergie. Die Erfurter berichteten von "Ossi-Themen": "Kein Sex mit Nazis" und der Fusion der PDS. Spritzig-witzig sangen sie dann eine Persiflage auf die Bundeswehr, die einem Kinderlied aus dem Disney-Club entnommen ist.
Über sich selbst lachen musste das Publikum, als die zwei jungen Männer fast brüllten:" Ich komm vom Dorf". Auch in den Zweizeilern, in denen sich das Ende der ersten Zeile immer mit den Worten der zweiten Zeile "Das ist eine gescheiterte Existenz" reimte, ertappte sich der Zuhörer selbst. Im Disco-Rap durfte das Publikum dann abschließend mitsingen.
Der über die letzten zwei Stunden gefüllte Zuschauerraum war nun fast voll, als die beiden Headliner des Festivals auftraten: Fred Timm und der Flotte Totte von den "Monsters of Liedermaching". Beide sind aus Hamburg. Timm kennt man noch von der Gruppe "Norbert und die Feiglinge".
Zusammen mit seinem Wohnungsgenossen Totte kommentierte er liebevoll-humorvoll, dass "er sich mag" und sich in seiner Eigenliebe aufißt. Abwechselnd gestanden beide, dass sie "nur Durchschnitt " und "schlecht im Bett" sind.
In einer Ballade bat Timm seine heimliche Freundin: "Sei meine Nummer zwei.". Totte verwies parodistisch in seinem Lied "Mücken" auf seine Tierliebe. Auch etwas Punk klang an, als er in einem Lied auf Einsatz brüllen ließ: "Als der Staat gewann".
Nach tosendem Applaus und mehreren Zugaben verließen dann beide Akteure nassgeschwitzt die Bühne. Erheitert und amüsiert betraten die 60 Zuschauer um halbzwölf das Freie.
Das Programm überzeugte nicht nur durch die guten und abwechslungsreichen Texte, sondern letztlich auch durch die musikalische Handfertigkeit der Liedermacher. Liebhaber von deutscher Musik- und Sprachkultur werden nächstes Jahr wohl wieder auf ihre Kosten kommen. Dann soll es eine Fortsetzung des s
Liedermaching-Festivals im KFZ geben.
 
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