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Text von Samstag, 6. Oktober 2007

> k u l t u r<
  
 Kriminal: Polina Daschkowa las im TTZ 
 Marburg * (jnl)
Einen Höhepunkt des Marburger Krimi-Festivals 2007 markierte die Autorenlesung der Russin Polina Daschkowa am Freitag (5. Oktober) im Technologie- und Tagungs-Zentrum (TTZ). Vorgestellt wurde ihr aktuelles Buch "Falscher Engel".
Die Schriftstellerin aus Moskau hat mit ihren bislang 14 Büchern allein in Russland 40 Millionen Exemplare verkauft. Damit hat die 47-Jährige alle lebenden Schriftsteller-Kollegen überflügelt.
Seit ein paar Jahren werden ihre Bücher zunehmend weltweit übersetzt und verbreitet. In Deutschland, wo 1999 die erste Übersetzung erschien, ist sie trotzdem immer noch nicht breit bekannt. Ihre Marburger Lesung im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse 2007 schickte sich an, das zu ändern.
Nach einer eleganten, kurzen Einführung durch den Gastgeber Ralf Laumer begann die zierliche Moskauerin, in hohem Lesetempo auf Russisch ein Kapitel zu lesen. Die rechts neben ihr sitzende Manuela Weichenrieder, eine Schauspielerin aus Gießen, brachte im Anschluss darauf die deutschsprachige Übersetzung zu Gehör.
In sehr lebendiger Intonation modulierte sie die Dialoge zwischen Mutter und Tochter, Ärztin und Patienten sowie Kollegen mit viel Gespür für Inhalt und Wucht der enthaltenen Emotionen. Der exzellent ins Deutsche übertragene Text erwies sich als eine äußerst handlungsstarke, humorvoll funkelnde Geschichte.
Die handelnden Personen werden prägnant zupackend durch ihre Äußerungen und Handlungsimpulse charakterisiert. Die Sprachbeherrschung Daschkowas kann man tatsächlich meisterhaft nennen. Dennoch verliert sie durch die gut beobachtete Alltagsnähe und Dramaturgie nie das Interesse des sonst schnell ermüdenden Mainstream-Lesers.
In dem Buch "Falscher Engel" geht es um die Begegnung einer jungen plastischen Chirurgin mit einem ebenfalls weiblichen Opfer der Organisierten Kriminalität, einer zuvor erfolgreichen Showbiz-Prominenten. Eingebettet ist das Geschehen in die Schilderung des stressigen Alltags der beruflich Erfolgreichen des "neuen Russland" ebenso wie in sarkastische Beschreibungen der russischen Politik und Geschäftswelt.
Die Neureichen werden dabei teilweise als regelrechte Psycho-Wracks vorgeführt. Die Leser aus dem finanziell meist gar nicht auf Rosen gebetteten russischen Volk können so wenigstens über "die da oben" herzhaft lachen.
Zum Beispiel wünscht ein junger Mann von der Chirurgin eine Haut-Transplantation, da angeblich seine Körperhaare als CIA-Agenten umfunktioniert seien. Ein junges Mädchen ist an sich bildhübsch, aber so depressiv und von Magersucht gebeutelt, dass es sich potthässlich findet und unbedingt irgendeine Operation haben will. Seine Mutter ist mit ihrer Tochter vollkommen überfordert, aber würde jede Pseudo-Lösung ohne Zögern bezahlen. Geld spielt bei den Reichen keine Rolle.
Der russische Roman "Cherubim" ist bereits 2001 erschienen. Die deutsche Übersetzung "Falscher Engel" kam erst Anfang 2007 auf den Markt.
Unerwartet spannend und lebhaft gestalteten sich die Publikumsfragen. Polina Daschkowa hörte äußerst genau zu, was ihr die hervorragende Dolmetscherin schilderte. Ihre Antworten waren eingehend, ernsthaft und humorvoll zugleich. Meist trafen sie den Nagel auf den Kopf.
Wie sie zum Roman-Schreiben gekommen sei, fragte jemand, da sie doch als Parlaments-Korrespondentin zuvor auch erfolgreich gewesen sei. Es brauche viel Disziplin und Lebenserfahrung, um Romane schreiben zu können, lautete die Antwort. Die Architektur eines Romans verlange eine umfangreiche Planung, um ein tragfähiges Dramen-Gerüst aufzubauen.
Im übrigen bemängelten die Kritiker oft, sie schreibe angeblich "falsche Krimis", weil sie sich nicht um Genre-typisches schere. Beispielsweise komme sie hervorragend ohne einen Dedektiv oder gar Polizei-Ermittler aus.
Das Schubladen-Denken brauche sie und ihr Publikum nicht. Offenbar aber dächten die Händler und Kritiker anders.
Zwei ihrer Romane - "Kalashnikow Club" und "Falscher Engel" - sind verfilmt worden. Von den Resultaten ist die Autorin in beiden Fällen schwer enttäuscht. Deswegen hat sie weitere Experimente damit fürs erste gestoppt.
Ob sie in Russland wegen ihrer kritischen Tendenz vom Staat Drangsalierungen ausgesetzt sei, wurde gefragt. Das könne sie glücklicherweise verneinen, antwortete Daschkowa. Ihr Verlag sei privatwirtschaftlich und bisher habe ihr niemand hineingeredet.
Die Treffen mit ihren Lesern in Russland fänden meist in Bibliotheken statt. Das deutsche Modell sei ihr sehr sympathisch, aber es sei international nicht allzu verbreitet. In Frankreich gebe es bei Neuerscheinungen eine große Pressekonferenz und danach zwölf bis 15 Interviews hintereinander.
Mit großem, anhaltendem Beifall schloss die Fragestunde ab und ging in eine lebhaft nachgefragte Signierphase über.
 
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