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Text von Mittwoch, 7. November 2007

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 In Bronze gegossen: Banausentum auf dem Kornmarkt? 
 Marburg * (sts)
"Mir ist die Kinnlade runter gefallen, als ich die Neufassungen der Texte im August erhalten habe", beschrieb Architektin Angelika Bernhammer ihr Entsetzen. Zusammen mit der Künstlerin Karin Bohrmann hatte Bernhammer das Konzept für den Spielort "Kornmarkt" unter dem Motto "Dominikanerkloster und Universität - Orte der Gelehrsamkeit und Hüter der Schriften" entwickelt.
Am Dienstag (6. November) schilderten die beiden Gestalterinnen, wie sie von der weiteren Planung ausgeschlossen wurden. Ihre vorgeschlagene Installation besteht aus hohen schmalen Bronze-Stühlen und -podesten mit aufgeschlagenen Bronze-Büchern als einem Ort der Vorleser, der einer Gruppe von Bronze-Stühlen mit tieferem Sitz als Platz der Zuhörer gegenübergestellt ist.
Für die aufgeschlagenen Seiten sind vier Texte vorgesehen, die in der Originalsprache und einer deutschen Übersetzung widergegeben werden sollen. Bohrmann und Bernhammer hatten dafür gemeinhin anerkannte Übersetzungen gewählt.
Von der Stadt erhielt allerdings die Kinderbuch-Autorin Antonia Michaelis den Auftrag, diese Übersetzungen in eine modernere Fassung zu bringen. Das Ergebnis bekamen die künstlerischen Leiterinnen des Projekts im August dieses Jahres präsentiert.
Mit Schreiben vom 29. August an den Fachdienst Stadtplanung stellten die beiden klar, dass sie "Sprachwahl und Text-Gestaltung nicht mittragen könnten" und dass sich der "Magistrat als Auftraggeber vor der gesamten Bürgerschaft und den Gästen der Universitätsstadt lächerlich" mache. Als Antwort sei ihnen mitgeteilt worden, dass sich die Gremien noch einmal mit der Problematik auseinandersetzen und die Texte nochmals überarbeitet würden. Dies sei aber nicht geschehen.
Die zur Kenntnisnahme der Stadtparlaments-Sitzung am Freitag (2. November) vorgelegten Fassungen seien noch immer in kindisch-infantiler Weise geschrieben und verfälschten die Kern-Aussagen der klassischen Texte. Zwar habe das Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) die Textversionen von Michaelis positiv aufgenommen, weil sie "nicht so langweilig geschrieben" seien, doch seien dem Gremium die ursprünglichen Fassungen der Künstlerinnen gar nicht präsentiert worden.
Nach Auskunft von Friederike Beckmann von der städtischen Jugendförderung fand aber überhaupt keine Sitzung des KiJuPa zu diesem Thema statt. Die Kinder-Parlamentarier hätten vielmehr per e-Mail ihre Meinung zu den Übersetzungs-Varianten kundgetan.
"Wir hatten nicht genug Zeit, eigens eine Sitzung zu diesem Thema einzuberufen", berichtete Beckmann. "Die Mehrheit der Parlamentarier, die bei der e-Mail-Abstimmung mitgemacht haben, votierten für die modernen Übersetzungen."
Unter der nun entbrannten Diskussion leide die Motivation der jungen Abgeordneten. "Es ist natürlich schade, wenn Entscheidungen der Kinder nur so lange mitgetragen werden, wie sie den Erwachsenen passen", fügte sie hinzu.
Das Projekt "Spiel- und Aufenthaltsorte in der Oberstadt" sei nun mal in erster Linie für Kinder konzipiert und von Anfang an unter Einbeziehung des KiJuPa gestaltet worden. Die Übersetzungen seien "mit einem Augenzwinkern" zu lesen. Gerade kleinere Kinder könnten sich in Formulierungen wie "Die Trojaner hatten keine Lust, aufzuräumen" wieder finden.
"Wir sind nicht auf eine Konfrontation mit der Stadt aus, sondern wollen nur erreichen, dass die Konzeption noch einmal neu beraten wird", sagte Bernhammer.
Deutlichere Worte fand Landtagskandidat Rainer Atzbach (FDP), dessen Parteifreundin Gerlinde Schwebel am Freitag die "Welle der Empörung" ins Rollen gebracht hatte: "Hier werden 75.000 Euro öffentliche Gelder missbraucht, um Banausentum dauerhaft in Bronze zu gießen."
Stadtverordneter Prof. Dr. Heinrich Dingeldein (FDP) machte deutlich, dass "die Texte alle ansprechen müssten, nicht nur Kinder" und das "kindgerecht nicht bedeute, irreführende Inhalte zu vermitteln". Gemeinsam mit den Künstlerinnen erklärte sich der Germanist bereit, für eine Überarbeitung zur Verfügung zu stehen.
"Ich gehe davon aus, dass das Projekt Kornmarkt noch einmal neu beraten wird", sagte Stadt-Pressesprecher Rainer Kieselbach im Gespräch mit marburgnews. Allein die Tatsache, dass sich nun die Projekt-Entwicklerinnen selbst gegen die vom Kinder- und Jugendparlament beschlossenen modernen Fassungen wendeten, könne von Seiten der Stadt nicht ignoriert werden. Die Argumente der Kritiker, insbesondere der Liberalen, seien nachzuvollziehen.
Bürgermeister Dr. Franz Kahle (Grüne) erklärte gegenüber marburgnews, dass er von einer Umsetzung der im Stadtparlament vorgestellten Konzeption absehen werde. Derzeit warte er auf eine Neu-Bearbeitung der Texte durch Antonia Michaelis.
"Ich werde diese Version dann noch einmal dem Schul- und Kulturausschuss sowie dem Bauausschuss vorlegen", versprach Kahle. Er brachte zudem die Idee ins Gespräch, eine Kommission zu gründen, an der sowohl die Künstlerinnen, das Kinder- und Jugendparlament als auch Professor Dingeldein teilnehmen sollten. Es bestehe in der Sache schließlich kein Zeitdruck.
 
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