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Text von Freitag, 21. Dezember 2007

> s o z i a l e s<
  
 Von Anfang an: Hartz IV ist ein Armutszeugnis 
 Marburg * (fjh)
Hartz IV ist in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Dieses Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am Donnerstag (20. Dezember) in Karlsruhe verkündet.
Geklagt hatten mehrere Kommunen. Sie wehrten sich vor dem höchsten deutschen Gericht gegen die im Sozialgesetzbuch II (SGB II) verfügte Konstruktion von Arbeitsgemeinschaften (ArGen) aus Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit (BA). Darin sahen sie einen verfassungswidrigen Eingriff in die Kommunale Selbstverwaltung.
Dieser Auffassung ist das BverfG mit seinem Spruch gefolgt. Bis 2010 muss der Gesetzgeber die Zuständigkeiten für Langzeit-Arbeitslose nun neu regeln.
Der Richterspruch ist eine schallende Ohrfeige für die fünf Hartz-Parteien CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP. Sie alle hatten das SGB II im Sommer 2004 im Hau-Ruck-Verfahren durch die Gesetzgebungsmaschinerie hindurchgequetscht. Dabei wurde vieles mit heißer Nadel genäht, was heute Millionen Menschen in ihren Freiheitsrechten, ihren wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen und Zukunftsaussichten sowie in ihrer persönlichen Würde beeinträchtigt.
Doch darüber hat das BverfG bisher noch gar nicht endgültig entschieden. Es ist beschämend, dass ausgerechnet die Rechte von Landkreisen und Städten Thema des jüngsten Richterspruchs sind, während die Bürgerrechte der Erwerbslosen und ihrer Angehörigen durch das SGB II unter die Räder gekommen sind.
Beispielsweise wurde der Regelsatz von Hartz IV bereits im März 2004 errechnet. Er sollte nach Bekundungen des damaligen Arbeits- und Sozialministers Wolfgang Clement der Höhe der damaligen Sozialhilfe entsprechen. Nach Berechnungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV) hingegen lagen die im Gesetz festgelegten 345 Euro aber schon damals um 67 Euro unter der vorherigen Sozialhilfe.
Seit dem Inkrafttreten des SGB II am 1. Januar 2005 ist der Regelsatz nur einmal um ganze zwei Euro erhöht worden. In der gleichen Zeit stiegen die Lebenshaltungskosten jedoch erheblich stärker an. Allein im November 2007 betrug die Inflationsrate 3,1 Prozent. Insbesondere Lebensmittel und Energie haben sich spürbar verteuert.
Hinzu kommt die Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zum 1. Januar 2007. Bezieher von Hartz IV haben dafür jedoch keinen angemessenen Ausgleich erhalten.
Auch die Qualität der Stellen, die Erwerbslosen angeboten werden, müsste eigentlich einmal genauer hinterfragt werden. Schließlich muss es ja einen Grund geben, warum immerhin die Hälfte aller vermittelten Erwerbslosen spätestens nach einem Jahr wieder auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist. Das jedenfalls besagt eine kürzlich veröffentlichte Erhebung zur Qualität der Vermittlungsarbeit in den ArGen.
Die Einschränkung des Datenschutzes für Erwerbslose, ihre Verpflichtung zur Annahme nahezu jeglicher Arbeit und ihre Zwangsverpflichtung zum Abschluss sogenannter "Integrationsvereinbarungen" wie auch ihre wirtschaftliche Knappheit waren jedoch nicht Gegenstand der Karlsruher Entscheidung. Die Verfassungsrichter haben sich darin ausschließlich mit formalen Elementen des SGB II auseinandergesetzt. Nur darauf bezog sich auch die Verfassungsbeschwerde, die sie zu verhandeln hatten.
Konsequenz ihrer Entscheidung könnte nun eine flächendeckende Umsetzung des sogenannten "Optionsmodells" sein. Nach diesem Muster arbeitet beispielsweise auch das KreisJobCenter (KJC) Marburg-Biedenkopf. Hier ist das Geschiebe und Gewürge nicht gar so schlimm wie in den verfassungswidrig konstruierten ArGen, wo Kommunen und BA mitbestimmen, doch niemand wirklich entscheiden darf.
Zwar ist auch beim KJC nicht alles Gold, was aus den allmonatlich verkündeten Selbstbeweihräucherungs-Mitteilungen des Landkreises Marburg-Biedenkopf über die "hervorragende Arbeit des KJC" heraustrieft, doch insgesamt scheint diese Konstruktion mehr Möglichkeiten für eine gezielte Förderung Langzeit-Erwerbsloser zu bieten. Die Entscheidungsträger sitzen näher bei den Betroffenen und können von ihnen direkt angesprochen werden.
Wenn sich der Erste Kreisbeigeordnete Dr. Karsten McGovern als zuständiger Sozialdezernent nun auch noch dazu durchringen könnte, auch Schwachstellen der Arbeit des KJC offen zu benennen wie beispielsweise die Zahl der "Aufstocker", die neben einer Erwerbstätigkeit noch Leistungen nach dem SGB II beziehen, dann könnte das KJC vielleicht wirklich zu einer echten Hilfe für die Erwerbslosen weiterentwickelt werden. Dazu bräuchte es dort aber mehr Ehrlichkeit anstatt der alten Devise des einstigen britischen Premierministers Winston Churchill: "Trau keiner Statistik, die DU s.
nicht selber gefälscht hast!"
 
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